Faktische Geschäftsführerhaftung 2024:
Verständlich vom Fachanwalt erklärt
Lesezeit: 2-3 Minuten
Mehrwerte: Insbesondere bei Leitenden Angestellten/Prokuristen stellen sich häufig Fragen zum Umfang der eigenen privaten Haftung. Hierbei spielen die rechtlichen Begriffe wie "Arbeitnehmerprivileg" sowie "Faktische Geschäftsführerhaftung" eine entscheidende Rolle, in welchem Umfang eine Haftung erfolgen kann. Mit Fokus auf die kritische "Faktische Geschäftsführerhaftung" haben wir mit dem renommierten Experten Philipp Opitz von der Kanzlei Martius Rechtsanwälte das Thema für Sie aufgearbeitet.
1. Einleitung faktische Geschäftsführerhaftung
Der Begriff des faktischen Geschäftsführers dürfte vielen Gesellschaftern und leitenden Angestellten einer GmbH zwar zumindest vom Hörensagen bekannt sein. Allerdings haben die meisten kein klares Bild davon, wann eine Person als faktischer Geschäftsführer anzusehen ist und welche einschneidenden haftungsrechtlichen Konsequenzen mit dieser Stellung einhergehen.
Das chinesische Unternehmen X-Industries mit Sitz in Hong Kong hat sämtliche Geschäftsanteile an der deutschen Y-GmbH erworben. Der Verkäufer und Gesellschafter-Geschäftsführer der Y-GmbH scheidet aus dem Unternehmen aus. Zum neuen Geschäftsführer der Y-GmbH wird der in Hong Kong ansässige Chairman von X-Industries, Herr Wu, bestellt und im Handelsregister eingetragen. Herrn Wu hatte bei dem Erwerb der Y-GmbH in erster Linie deren Patentportfolio im Auge. Er scheut indes Reisen nach Deutschland und bindet daher Herrn Weber, als Abteilungsleiter mit allen Prozessen der Y-GmbH bestens vertraut, mehr und mehr in die Führung der Gesellschaft ein. Herr Weber bekommt eine Gehaltserhöhung, wird allerdings nicht zum Geschäftsführer bestellt. Er unterzeichnet Bestellungen, führt die Personalgespräche und überwacht die Buchhaltung. Zudem verhandelt er mit Banken und Lieferanten. Er wird sowohl in der Y-GmbH als auch bei Geschäftspartnern als „das Gesicht der Gesellschaft“ wahrgenommen. Aufgrund von Zahlungen der Gesellschaft an Lieferanten, die Herr Weber leicht sorgfaltspflichtwidrig freigegeben hatte, entsteht dieser ein Schaden in deutlich sechsstelliger Höhe.
„Die Figur des faktischen Geschäftsführers hingegen wurde von den Gerichten entwickelt und ist gesetzlich nicht geregelt. Die Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführung können daher nicht aus dem Gesetz abgeleitet werden und sind z.T. auch noch nicht abschließend durch die Gerichte bestimmt worden.“Philipp Opitz (Partner Martius Rechtsanwälte)
2. Wer ist faktischer Geschäftsführer einer GmbH?
Nach den Vorschriften des GmbH-Gesetzes wird eine GmbH grundsätzlich durch einen oder mehrere Geschäftsführer geleitet und vertreten. Die formale Stellung als Organ der Gesellschaft erlangen die Geschäftsführer durch einen entsprechenden Beschluss der Gesellschafterversammlung und ihr Einverständnis zur Amtsübernahme.
Die Figur des faktischen Geschäftsführers hingegen wurde von den Gerichten entwickelt und ist gesetzlich nicht geregelt. Die Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführung können daher nicht aus dem Gesetz abgeleitet werden und sind z.T. auch noch nicht abschließend durch die Gerichte bestimmt worden. Anders als bei förmlichen Geschäftsführern kommt es für die Stellung eines faktischen Geschäftsführers nicht auf eindeutige formale Handlungen (insb. die Fassung eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses) oder den Willen des Betroffenen an. Entscheidend ist vielmehr das tatsächliche Gesamtbild der Tätigkeiten im konkreten Einzelfall.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist entscheidend, ob eine Gesamtschau aller Umstände ergibt, dass die betreffende Person in maßgeblichem Umfang Geschäftsführungsfunktionen übernommen, d.h. die „Geschicke der Gesellschaft maßgeblich in die Hand genommen“ hat. Dabei muss der faktische Geschäftsführer den oder die bestellten Geschäftsführer nicht völlig aus ihrer Position verdrängen. Maßgeblich ist vielmehr, wer die für den Fortbestand des Unternehmens entscheidenden Maßnahmen trifft. Für die Praxis ist jedoch mit diesen generischen Umschreibungen nicht viel gewonnen.
Von großer Bedeutung ist jedoch, dass zur Begründung einer faktischen Geschäftsführung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest ein Handeln im Außenverhältnis erforderlich ist. Weiter konkretisieren lassen sich die Umschreibungen des BGH, wenn man sich einen Kriterienkatalog des Kernbereichs der Geschäftsführung vergegenwärtigt. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat das Vorliegen einer faktischen Geschäftsführung insofern bejaht, wenn mindestens sechs der nachstehenden acht Kriterien erfüllt sind:
- Bestimmung der Unternehmenspolitik,
- Unternehmensorganisation,
- Einstellung von Mitarbeitern,
- Gestaltung der Geschäftsbeziehung zu Vertragspartnern,
- Verhandlung mit Kreditgebern,
- eine dem Geschäftsführergehalt entsprechende Vergütung,
- Entscheidung in Steuerangelegenheiten,
- Steuerung der Buchhaltung.
Zwar haben die (zivilrechtlichen) Senate des BGH diese Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht übernommen. Die Kriterien können gleichwohl eine Orientierungshilfe bieten.
Im obigen Beispiel spricht insofern viel dafür, eine faktische Geschäftsführung durch Herrn Weber zu bejahen. Er hat bei der Y-GmbH in maßgeblichem Umfang Geschäftsführungsfunktionen übernommen und erfüllt eindeutig die meisten der oben genannten Kriterien. Allerdings ist eine trennscharfe Abgrenzung in der Praxis zumeist schwierig. Häufig wachsen dem Handelnden geschäftsführungsnahe Aufgaben über einen längeren Zeitraum aufgrund organisatorischer Vakanzen oder fehlender Erreichbarkeit des förmlichen Geschäftsführers zu, ohne dass er dies bewusst wahrnimmt.
3. Wie haftet der faktischer Geschäftsführer im Vergleich zum leitenden Angestellten?
Der faktische Geschäftsführer haftet ebenso wie der förmliche Geschäftsführer, insbesondere gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG. Dies hat jüngst das OLG München noch einmal unterstrichen. Die Entscheidung des Gerichts sollte als Warnung für faktische Geschäftsführer dienen, denn die Organhaftung ist ein scharfes Schwert:
So hat der (faktische) Geschäftsführer bereits bei leicht fahrlässiger Pflichtverletzung den gesamten der GmbH hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Einem Angestellten käme hingegen bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit eine Haftungsprivilegierung zugute: Nach ständiger Rechtsprechung gilt für Arbeitnehmer ein dreistufiges Haftungsmodell, wonach den Arbeitnehmer im Falle leichter und leichtester Fahrlässigkeit keine Haftung trifft, der Schaden im Falle mittlerer Fahrlässigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geteilt wird und der Arbeitnehmer nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz den gesamten Schaden zu tragen hat. Zwar ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, ob auch leitende Angestellte in den Genuss der Grundsätze zur Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung kommen. Es spricht jedoch viel dafür, dies mit der herrschenden Meinung zu bejahen.
Als faktischen Geschäftsführer trifft Herrn Weber im obigen Beispiel das scharfe Schwert der Organhaftung, d.h. er haftet der Gesellschaft für den gesamten entstandenen Schaden. Als (leitender) Angestellter müsste er den Schaden hingegen nicht ersetzen. Da er lediglich leicht fahrlässig gehandelt hat, träfe ihn nach dem dreistufigen Haftungsmodell der Rechtsprechung keine Haftung.
Zudem greifen bei einem faktischen Geschäftsführer Sonderregelungen im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast: Demnach muss die Gesellschaft lediglich den Eintritt eines Schadens und dessen Verursachung durch ein Verhalten des faktischen Geschäftsführers, das sich als möglicherweise pflichtwidrig darstellt, darlegen und beweisen. Ist dies der Fall, trifft den faktischen Geschäftsführer die Beweislast, dass entweder das schadensauslösende Verhalten nicht pflichtwidrig war oder ihm zumindest kein Schuldvorwurf hinsichtlich der Pflichtverletzung zu machen ist. Auch diesbezüglich wäre Herr Weber als leitender Angestellter bessergestellt, da ihn in diesem Fall nicht die Beweislast treffen würde.
Diese Regelung kann in der Praxis ausschlaggebend sein, denn manche Vorgänge lassen sich im Nachhinein – eine Untersuchung findet oftmals erst mehrere Jahre nach den zugrunde liegenden Geschehnissen statt – nicht mehr vollständig aufklären.
4. Genießt ein faktischer Geschäftsführer Versicherungsschutz?
Vor diesem Hintergrund ist (leitenden) Angestellten einer GmbH, die geschäftsführungsnahe Aufgaben übernehmen, zu erhöhter Wachsamkeit zu raten. Bestehen Zweifel, ob die übernommenen Tätigkeiten die Stellung als faktischer Geschäftsführer begründen, sollte unbedingt ein gesellschaftsrechtlich versierter Rechtsanwalt zu Rate gezogen werden. Auch im Hinblick auf den versicherungsrechtlichen Schutz ist Vorsicht angebracht. Zwar sichern GmbHs ihre Geschäftsführer zumeist über D&O-Versicherungen ab. Allerdings bestehen bei den im Markt verbreitenden Policen erhebliche Unterschiede dahingehend, ob auch faktische Geschäftsführer zum versicherten Personenkreises gehören. Hier sollte unbedingt auf eine Nennung des „faktischen Geschäftsführers“ im D&O-Versicherungsschutzes geachtet werden.
Über Philipp Opitz
Philipp Opitz berät auf dem Gebiet des gesamten Gesellschafts-, Konzern- und Kapitalmarktrechts. Ein Fokus seiner Tätigkeit liegt dabei auf gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, Organhaftung und Internal Investigations.
Er ist Gründungspartner von MARTIUS. Zuvor war er mehrere Jahre als Rechtsanwalt einer führenden Kanzlei tätig. Er studierte Rechtswissenschaften mit wirtschaftswissenschaftlicher Zusatzausbildung in Bayreuth und Bilbao.
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