BGH verschärft persönliche Haftung des Geschäftsleiters bei Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren
Lesezeit: 3-4 Minuten
Mehrwerte: Regelmäßig treten unsere Mandanten sowie D&O-Interessenten an uns heran, um eine Einordnung zum in der Presse vielbeachteten BGH-Urteil zur "Haftung der Geschäftsführung im Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung" zu erhalten. Um diesbezüglich die Fragen kompetent zu beantworten, sind wir auf Rechtsanwalt Herrn Dr. Hees (Partner bei der Wirtschaftskanzlei Hoffmann Liebs und Spezialist für Insolvenzfragen) zugegangen und haben um eine Ausarbeitung gebeten. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen! Gerne stehen Ihnen Hr. Hees (juristische Fragen) sowie wir (Absicherung via D&O-Versicherung) für Rückfragen zur Verfügung.
Vorwort
Insolvente Unternehmen werden immer häufiger in Eigenverwaltung gem. §§ 270 ff. InsO saniert. In der Eigenverwaltung bleibt die bisherige Geschäftsführung oder der Vorstand trotz des eröffneten Insolvenzverfahrens im Amt. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldnerunternehmens besteht fort. Es verwaltet die Insolvenzmasse unter Aufsicht eines sogenannten Sachwalters. Aus Sicht des Unternehmens sowie der Gläubiger hat dies den Vorteil, dass das Knowhow der Geschäftsführung erhalten bleibt und im Falle der erfolgreichen Sanierung ein durchgehender Geschäftsbetrieb ermöglicht wird, was die Fortführung des Unternehmens erleichtert und das notwendige Vertrauen der Gläubiger in eine erfolgreiche Sanierung stärken kann.
Innen- und Außenhaftung von Geschäftsführern auch im Insolvenzverfahren
Bis zuletzt unklar war die Frage, wie die Haftung der Geschäftsleiter bei Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren gegenüber Gläubigern, Aus- und Absonderungsberechtigten, neuen Vertragspartnern, Lieferanten und sonstigen Dritten ausgestaltet ist. Gegenüber seiner Gesellschaft haftet ein Geschäftsführer für schuldhafte Pflichtverletzungen ohnehin gemäß den §§ 43, 64 GmbH-Gesetz.
- Inbesitznahme,
- Verwaltung,
- Erhaltung und
- Verwertung der Masse.
Oftmals wird das Schuldnerunternehmen zwar von einem Sanierungsexperten beraten, dieser wechselt aber nicht immer in die Geschäftsführung, oder tritt nur zusätzlich neben der bisherigen Geschäftsführung als neues Organ ein. Die Pflichten der bisherigen Geschäftsführer bleiben also bestehen, auf eine Ressortverteilung können sich diese bei Haftungsinanspruchnahme nicht oder nur bedingt zurückziehen.

Wachstum von Insolvenzen in Eigenverwaltungen in % der Top-50 Insolvenzen von 2015 bis 2017. Quelle: BCG Studie 2017
Der vom BGH entschiedene Fall
Eine Haftung gegenüber Dritten war bislang nur in Ausnahmefällen (z.B. bei deliktischem Handeln) anerkannt. Der BGH hat jetzt erstmals entschieden, dass Geschäftsführer einer insolventen Gesellschaft in der Eigenverwaltung analog der Vorschriften über die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters auch im Außenverhältnis, d.h. gegenüber den Gläubigern und den anderen Beteiligten umfangreich nach §§ 60, 61 InsO persönlich mit ihrem gesamten Vermögen haften (BGH, Urteil v. 26. April 2018 – IX ZR 238/17).
Der beklagte Geschäftsführer wurde im September 2014 als zusätzlicher Geschäftsführer der zu diesem Zeitpunkt bereits insolventen GmbH & Co. KG bestellt. Im Vorfeld war er für die Gesellschaft bereits als Sanierungsexperte tätig. Der von der Geschäftsführung aufgestellte und von der Gläubigerversammlung genehmigte Insolvenzplan sollte eine Fortführung des Geschäftsbetriebs ermöglichen. Im Zuge dessen wurde eine Bestellung zu Lasten der Insolvenzmasse getätigt. Der hierfür anfallende Kaufpreis in Höhe von EUR 87.120,49 konnte jedoch nicht entrichtet werden, da die Gesellschaft mittlerweile ein zweites Mal insolvent war. Der Lieferant nahm sodann den hinzugetretenen „Sanierungs-Geschäftsführer“ persönlich auf den Kaufpreis in Anspruch, da gegenüber der insolventen Gesellschaft lediglich eine Tabellenforderung bestand (§ 38 InsO).
Das Urteil
Anders als noch das OLG Düsseldorf in der Vorinstanz kam der BGH zu dem Ergebnis, dass der beklagte Geschäftsführer entsprechend den Haftungsgrundsätzen für Insolvenzverwalter auch gegenüber Dritten persönlich nach § 61 InsO analog hafte, da ein Geschäftsführer nach Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens nicht mehr allein aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Leitungsmacht tätig werde, sondern auch und vor allem insolvenzrechtliche Rechte und Pflichten für die Gesellschaft wahrnehme.
Hierzu führt der BGH wörtlich aus:
„Die Geschäftsleiter werden nach Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens nicht mehr allein aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Leitungsmacht tätig, sondern nehmen auch und vor allem insolvenzrechtliche Rechte und Pflichten für die Gesellschaft wahr. Faktisch nehmen die Geschäftsleiter einer Gesellschaft im Rahmen der Eigenverwaltung weitgehend die Befugnisse wahr, die im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen."
„Verantwortet die Geschäftsleitung einer eigenverwalteten Gesellschaft im weiten Umfang Funktionen eines Insolvenzverwalters, muss sie notwendigerweise für etwaige Pflichtverletzungen in diesem Bereich gleich einem Insolvenzverwalter haften.“

Anteil von Top-50 Unternehmensinsolvenzen in Eigenverwaltung mit und ohne Sanierungsexperten. Quelle: BCG Studie 2017
Der BGH ist somit zum Ergebnis gelangt, dass alle Organe einer in Eigenverwaltung befindlichen Gesellschaft wie ein Insolvenzverwalter gegenüber den Beteiligten haften müssen und begründet dies mit einer analogen Anwendung der §§ 60, 61 InsO. Der Geschäftsleiter fungiere insoweit „als Insolvenzverwalter in eigener Sache“. Daher sei auch das gesetzlich vorgesehene Haftungsregime eines Geschäftsführers nach §§ 43, 64 GmbH-Gesetz unzureichend, da dies ausschließlich gegenüber der Gesellschaft bzw. den Gesellschaftern gelte. Die Gläubiger und anderen Beteiligten würden jedoch bei einem insolvenzspezifischen Fehlverhalten des Geschäftsleiters gegenüber dem Regelverfahren weitestgehend schutzlos gestellt. Vielmehr könne der Reglungszweck der Direkthaftung nach den §§ 60, 61 InsO nur durch eine direkte persönliche Haftung des Geschäftsführers der eigenverwalteten Gesellschaft verwirklicht werden. Dieses Ergebnis sei auch insoweit interessengerecht, als eine Eigenverwaltung über das Vermögen einer Gesellschaft ohnehin nur auf Grundlage eines Antrags der Geschäftsleiter angeordnet werden kann (§ 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO).
"Der BGH weitet die Haftung von Geschäftsführern erneut aus, jetzt auch für Sanierungen in Eigenverwaltung. Die Haftung wird existenzbedrohend, Prävention wird daher neben guten Sanierungsberatern noch wichtiger!"Dr. Volker Hees (Partner und Insolvenzrechtsexperte bei Hoffmann Liebs)
Folgen der Entscheidung für die Praxis
Die Ausweitung der Haftung ist gut begründet und überzeugt. Es ist daher anzunehmen, dass alle Gerichte dieser Entscheidung folgen werden. Der BGH schafft mit dieser Entscheidung Klarheit über die bislang kontrovers diskutierte Frage des Haftungsregimes von Geschäftsführern, Vorständen und anderen Organen in der Eigenverwaltung. Künftig gilt:
Geschäftsleiter einer Gesellschaft in Eigenverwaltung haben die Sorgfalt und den Pflichtenkreis eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters zu beachten!
Die Entscheidung wird in der Unternehmens- und Insolvenzpraxis weitreichende Auswirkungen haben. Dies betrifft zum einen die „reguläre“, bisherige Geschäftsführung, die vor der Stellung eines Antrags auf Eigenverwaltung stets genau im Blick haben wird, welche Haftungsrisiken sie nach Eröffnung des Verfahrens erwarten. Für alle Geschäftsleiter eines eigenverwalteten Unternehmens wird zukünftig von noch größerer Bedeutung sein, den insolvenzspezifischen Pflichtenkatalog zu beachten, um eine persönliche Haftung zu vermeiden.

Aktuelle Größenverteilung von Unternehmen in Eigenverwaltung zu Gesamtverfahren. Quelle: BCG Studie 2017
Sie müssen beispielsweise die Rechte der Aus- und Absonderungsberechtigten beachten, dürfen zu Lasten der Gläubiger keine Masse „verbrennen“ und haften für von ihnen begründete Masseverbindlichkeiten, wenn sie diese nicht bezahlen (können), letzteres aber hätten vorher erkennen können. Damit erhöht sich natürlich auch das Haftungsrisiko von speziell für die Sanierung eintretenden Organen, den sogenannten CROs (Chief Restructuring Officers).
Denn ausnahmslos jeder - gesetzlich gesamtschuldnerisch haftende - Geschäftsführer eines insolventen Unternehmens in der Eigenverwaltung ist jetzt für alle Beteiligten, das sind die Gläubiger, die Aus- und Absonderungsberechtigten wie auch alte und neue Lieferanten und sonstige Vertragspartner, ein zusätzlicher potentieller Schuldner, in dessen persönliches Vermögen grundsätzlich vollstreckt werden kann.
Es ist fraglich, ob die Geschäftsführer zukünftig bereit sind, ohne Weiteres diesem mitunter gravierenden Haftungsrisiko zu unterliegen und noch die Geschäftsführung in der Eigenverwaltung zu übernehmen.
Praxistipp
Geschäftsleiter sind daher gut beraten, vor dem Gang in die eigenverwaltete Insolvenz entsprechende Versicherungen abzuschließen bzw. bereits bestehende Policen zu ergänzen, um damit ihr Haftungsrisiko zu begrenzen. Bei bereits bestehenden Policen sollte vorsorglich im ersten Schritt die Bestätigung des D&O-Versicherers eingeholt werden, dass auch Ansprüche analog §§ 60, 61 InsO für den Fall eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung versichert sind. Die marktaktuellen Bedingungen bieten dies bereits an.

Über Dr. Volker Hees
Rechtsanwalt Dr. Volker Hees berät Unternehmen, Gesellschafter und Geschäftsleiter seit 1999 schwerpunktmäßig im Insolvenzrecht, Handelsrecht und Gesellschaftsrecht einschließlich Restrukturierung und Sanierung sowie Haftungsrisiken. Darüber hinaus berät er Unternehmen bei der Abwehr von Wirtschafts- und Mitarbeiterkriminalität. Dr. Hees veröffentlicht regelmäßig Fachbeiträge zu relevanten Fragen des Insolvenz- und Gesellschaftsrechts sowie der Wirtschaftskriminalität. Dr. Volker Hees ist neben dem Fachanwalt für Insolvenzrecht auch zertifizierter Restrukturierungs- und Sanierungsexperte (RWS).

Über Hoffmann Liebs
Hoffmann Liebs ist mit über 60 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten am Standort Düsseldorf tätig. Die Kanzlei berät seit 1979 mittelständische Unternehmen und internationale Konzerne ebenso wie die öffentliche Hand bei komplexen und anspruchsvollen wirtschaftsrechtlichen Mandaten. Das Beratungsspektrum der Sozietät umfasst nahezu sämtliche für die Unternehmenspraxis relevanten Rechtsgebiete. Unsere Kompetenzen reichen von der umfassenden wirtschaftsrechtlichen Begleitung bis zur Beratung in komplexen Transaktionen und ausgefallenen Spezialmaterien. Dabei verbinden wir die jahrelangen praktischen Erfahrungen mit den ausgeprägten Spezialisierungen aller Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Zu unseren Mandanten zählen Start-ups, kleine und mittlere Firmen ebenso wie im DAX, MDAX oder an ausländischen Börsen notierte Gesellschaften. Die Kombination aus juristischem Einfallsreichtum und wissenschaftlicher Tiefe bestimmt die hohe Qualität unserer Beratung. Personelle Kontinuität garantiert unseren Mandanten eine persönliche und individuelle Beratung durch vertraute Partner der Kanzlei. Vom zentralen Standort in Düsseldorf sind wir bundesweit und international tätig. Außerdem verfügen wir über ein eigenes China Desk sowie ein durch langjährige Zusammenarbeit erprobtes Best-Friends-Netzwerk renommierter Kanzleien in Europa, Amerika und Asien.
